Veranstaltung: | JUSO Schweiz |
---|---|
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 05.05.2021, 09:42 |
Ersetzt: | P1-DE: Solidarisch und sozialistisch: für eine Landwirtschaft der Zukunft! |
P1-DENEU: Solidarisch und sozialistisch: für eine Landwirtschaft der Zukunft!
Antragstext
Die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft gehören heute in der Schweiz zu den
schlechtesten. Die enorme Arbeitsbelastung, soziale Unsicherheit und die
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führen mitunter zu dramatischen Situationen.
Landwirt*innen leiden unter Burn-outs, ertrinken in Schulden und die
Direktzahlungen reichen oft bei Weitem nicht aus, um einen angemessenen
Lebensunterhalt zu sichern. Kleine Bauernhöfe stehen unter enormem finanziellem
Druck, sowohl wegen der Schuldenlast als auch wegen der starken Konkurrenz durch
Grossbetriebe, riesige Detailhändler und der Liberalisierung der internationalen
Märkte. In der Schweiz schliessen jeden Tag vier Bauernhöfe und der Druck auf
die Landwirt*innen nimmt zu.[A]
Die Landwirtschaft wird stark subventioniert, weil sie eine wesentliche Rolle
bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln, der Erbringung von Diensten für die
Umwelt und der Landschaftspflege spielt. Die vom Bund gewährten Direktzahlungen
führen jedoch nicht zum gewünschten Resultat. Anstatt den vom Markt unter Druck
gesetzten Bäuer*innen zu helfen, fliessen 50% der Direktzahlungen an die
Verarbeitungs- und Vertriebsketten.[B] Das Geld des Bundes wird also nicht
verwendet, um den unter Druck stehenden Arbeiter*innen zu helfen, sondern um zu
den Gewinnen von Coop, Migros und anderen beizutragen.
Die Landwirtschaft ist eine unverzichtbare Branche, die in der Lage sein muss,
auf ethisch vertretbare und ökologische Weise genügend Nahrungsmittel für alle
zu produzieren.
Dieses Positionspapier hat zum Ziel, den momentanen Zustand der Schweizer
Landwirtschaft darzustellen und eine sozialistische Alternative vorzuschlagen,
die eine nachhaltige und solidarische Vision der Landwirtschaft präsentiert,
welche Menschen, andere Tiere und ihre Umwelt in den Mittelpunkt stellt und
nicht mehr den Profit einiger weniger.
Strapazierend lange Arbeitszeiten und schlechte Löhne
Auch heute noch unterliegen die Beschäftigten in der Landwirtschaft nicht dem
Arbeitsgesetz (ArG). Die allen bekannten Regeln zu Arbeitszeiten, Freitagen oder
Ferien gelten für den landwirtschaftlichen Sektor nicht. Ausserdem gibt es auf
eidgenössischer Ebene keinen Gesamtarbeitsvertrag (GAV), und die wenigen GAV,
die es gibt, bieten unzureichende Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben.
Die Arbeitsbedingungen werden durch Normalarbeitsverträge (NAV) geregelt, bei
denen es sich um faktisch unverbindliche Empfehlungen auf kantonaler Ebene
handelt. Das macht es sehr schwierig, Lohnabhängige innerhalb der Branche zu
organisieren.
Während die Arbeitszeit in den NAV mit 53 Stunden pro Woche festgelegt ist,
zeigt die Realität auf dem Feld, dass die Beschäftigten in der Landwirtschaft
durchschnittlich fast 58 Stunden pro Woche arbeiten.[C] Ohne Überstunden,
Samstags- und sogar Sonntagsarbeit und Arbeitstagen mit kaum bezahlten Pausen,
ist das nicht zu schaffen. Zusätzlich zu den anstrengenden Arbeitszeiten liegt
der durchschnittliche Mindestlohn bei 14 Franken pro Stunde, was für ein
menschenwürdiges Leben nicht ausreicht.[D] Die Beschäftigten verdienen nach
Abzug der Kosten für Unterkunft und Verpflegung (die sich kaum vermeiden lassen,
wenn man fast 60 Stunden pro Woche am Arbeitsplatz verbringt) zwischen 2’000 und
2’500 Franken im Monat.[E] Die Reallöhne sind in den letzten Jahren sogar
gesunken, da der Anstieg der Lebenshaltungskosten bei der Berechnung der
Lohnerhöhungen nicht berücksichtigt wird.
Grosser Druck durch den liberalisierten Markt
Die Situation der selbständigen Kleinbäuer*innen ist nicht besser. Jeden Tag
schliessen in unserem Land etwa vier Bauernhöfe, was die tiefe Krise des Sektors
symbolisiert. Der Hauptgrund dafür ist der starke wirtschaftliche Druck durch
den Markt, durch die Freihandelspolitik und durch den starken Wettbewerb
zwischen grossen und kleinen Betrieben. Die Landwirt*innen stehen unter
zunehmendem Stress, was sich auch in den Gesundheitsstatistiken widerspiegelt.
12% der Landwirt*innen geben an, an Burn-out zu leiden: doppelt so viele wie
beim Rest der Schweizer Bevölkerung.[F] Darüber hinaus erlebt der Berufsstand
eine traurige Welle von Suiziden. Die Zahl der Bäuer*innen, die Suizid begingen,
hat sich zwischen 2009 und 2015 verdoppelt.[G] Laut einer Studie über die
Schweizer Landwirtschaft ist es der Verlust der wirtschaftlichen Wertschätzung,
den die Landwirt*innen als Abwertung der grundlegenden Bedeutung dieses Berufes
zu erleben scheinen.[1] Diese soziale Notlage muss ernstgenommen werden, zumal
die derzeitige Politik der Direktzahlungen nicht ausreicht.
Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Sektors werden durch den Rückgang der
Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft deutlich. Während im Jahr 2000 noch
115’000 Menschen in der Schweizer Landwirtschaft arbeiteten, waren es 2018 nur
noch 85’000.[2] Diese Entwicklung muss nicht zwingend schlecht sein, denn durch
den Einsatz von neuen Maschinen können menschliche Ressourcen effizienter
eingesetzt werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Preisdruck dazu
führt, dass pro Person mehr geleistet werden muss.
Die noch prekäreren Bedingungen von Migrant*innen und Frauen
Der Anteil ausländischer Arbeiter*innen, die besonders häufig gezwungen sind,
Schwarzarbeit zu leisten, steigt. Obwohl der Schweizerische Bauernverband die
Beschäftigung von Schwarzarbeiter*innen immer bestritten hat, zeigen Studien,
dass 8’000 Menschen in diesem Sektor Schwarzarbeit leisten, die überwiegende
Mehrheit von ihnen sind Migrant*innen.[H] Diese Arbeiter*innen haben in der
Schweiz kaum Rechte, keinen Schutz vor Entlassung oder Nichtzahlung des Lohns
etc.
Auch Frauen sind von der Misere der Landwirtschaft stark betroffen. Sie nehmen
oft einen zentralen Platz in den Familienbetrieben ein, übernehmen den Grossteil
der Betreuungsarbeit, der Hausarbeit und arbeiten gleichzeitig auf dem Hof mit.
All diese unbezahlte Arbeit erlaubt es ihnen nicht, unabhängig zu sein oder für
ihr Alter vorzusorgen. Andererseits sind es oft die Frauen, die als erstes nach
Arbeit ausserhalb des Hofes suchen, um das für das Überleben des Haushalts
notwendige Zusatzeinkommen zu erzielen. Diese verschiedenen Zwänge führen dazu,
dass sie in einer starken Abhängigkeit leben und noch stärker von Burn-Outs
betroffen sind als die Männer. Dies thematisiert auch der Schweizerische
Bäuerinnen- und Landfrauenverband, welcher sich im Rahmen des Frauenstreiks 2019
mit klaren Forderungen positionierte. Unbezahlte Arbeit sowie die finanzielle
Abhängigkeit der Bäuerinnen von den Landwirten muss ein Ende haben.
Die JUSO Schweiz stellt deswegen folgende kurzfristige Forderungen auf:
- Alle Arbeiter*innen in der Landwirtschaft müssen dem Arbeitsgesetz
unterstellt werden.
- Die Einführung regelmässiger Kontrollen und angemessener Sanktionen für
Arbeitgeber*innen, falls die gesetzlichen und vertraglichen Anforderungen
nicht eingehalten werden.
- Ein Mindestlohn von 5’000 Franken für die Landwirtschaft
- Anständige Arbeitszeiten
- Legalisierung aller illegalen Arbeiter*innen und Zuzugsrecht für deren
Familie.
- Löhne und damit soziale Absicherung für Bäuerinnen
- Allgemeine Erhöhung des Grundbeitrags der AHV zur Verbesserung der
Situation bei Bäuerinnen in der Altersvorsorge
- Verbesserter Zugang zu psychologischer Unterstützung
Ökonomische Betrachtung der Landwirtschaft in der Schweiz
Obwohl die Landwirtschaft weniger als 1% des BIP der Schweiz ausmacht,
beschäftigt sie mehr als 150’000 Menschen in über 40’000 landwirtschaftlichen
Betrieben. Die Zahl der Beschäftigten nimmt dabei seit vielen Jahrzehnten stetig
ab.[3] In Bezug auf die Selbstversorgung[4] ist die Schweizer Landwirtschaft in
der Lage, fast 100% der tierischen Lebensmittel (wenn die Futtermittelimporte
nicht berücksichtigt werden) und rund 40% der pflanzlichen Lebensmittel zu
produzieren, woraus 2018 ein Selbstversorgungsgrad von 58% resultierte.[5] Die
regulierte (subventionierte) Produktion auf Schweizer Boden führt zu Exporten
von Agrarrohstoffen (um bestimmte Produktionsquoten zu erfüllen, aber auch aus
rein kommerziellem Interesse), die für Landwirt*innen im Globalen Süden oft
zerstörerische Konsequenzen haben. So entsteht ein Teufelskreis, bei dem die
Schweizer Produktion exportiert wird, anstatt im Inland konsumiert zu werden,
und bei dem in der Folge ausländische Produkte importiert werden, um die in der
Schweiz künstlich erzeugte Knappheit auszugleichen. Langfristig wird dadurch die
Spekulation mit Rohstoffen gefördert, deren schädliche Auswirkungen bereits
vielfach nachgewiesen worden sind.[6]
Wachstum der Grossbetriebe auf Kosten von Kleinbäuer*innen
Die Schweizer Landwirtschaft weist verschiedene Entwicklungen auf: Seit mehr als
40 Jahren hat sich die landwirtschaftliche Nutzfläche kaum verändert, sodass die
Schweiz zu den europäischen Ländern mit der geringsten landwirtschaftlichen
Nutzfläche pro Einwohner*in gehört. Gleichzeitig ist die Zahl der
landwirtschaftlichen Betriebe und Arbeitsplätze um etwa 54% gesunken, was einen
erheblichen Verlust an Know-how und technischem Wissen zu Folge hat.[7]
Industrielle Massentierhaltung und (sehr) grosse Landwirtschaftsbetriebe sind
auf dem Vormarsch, sodass sich die durchschnittliche Grösse eines Betriebs seit
den 1970er-Jahren verdoppelt hat.[I] Diese Entwicklung wird angetrieben durch
finanziellen Druck, Mechanisierung und technologischen Fortschritt, die die
körperliche Arbeit, die früher von den Landwirt*innen geleistet wurde, ersetzt
haben.
Diese Entwicklung kam also den Grossbetrieben zugute, die über das nötige
Kapital verfügten, um ihre technische Ausstattung und Produktion zu verbessern
sowie um kleinere Betriebe aufkaufen zu können. Dies wiederum hatte den
perversen Effekt, dass die Verschuldung in der Landwirtschaft drastisch anstieg.
Als Anhaltspunkt: Zwischen 2010 und 2016 stieg die Verschuldung pro Hektar um
etwa 20% und erreichte 31’316 CHF.[J] Um mit den grossen
Landwirtschaftsbetrieben konkurrieren zu können, sind kleine Bauernhöfe
gezwungen, in die Modernisierung ihres Betriebs zu investieren, wodurch sich
immer mehr Schulden anhäufen und die Überlebensfähigkeit dieser Betriebe immer
stärker abnimmt. Das hat verheerende Folgen für die Landwirt*innen, die keinen
Sinn mehr in ihrer Arbeit finden, wenn diese nur Schulden und finanzielle
Schwierigkeiten mit sich bringt.
Wirtschaftliche Hebel zur Unterstützung der Landwirtschaft
Die Schweiz unterstützt die Landwirtschaft vor allem auf zwei Arten: erstens
durch Subventionen und zweitens durch die Zollpolitik.
Die finanziellen Beträge lassen sich in drei Hauptkategorien einteilen:
Direktzahlungen, Unterstützung für Produktion und Verkauf und soziale
Massnahmen. Zusammengerechnet machen diese Beträge etwa 60% des
landwirtschaftlichen Einkommens in der Schweiz aus.[K] Diese Beträge kommen
jedoch nicht vollständig den Landwirt*innen zugute: Die Hälfte der vom Bund
ausbezahlten Subventionen wird von den Verarbeitungs- und Vertriebsketten
einkassiert. Anstatt die Landwirtschaft zu unterstützen, mästen wir die Profite
der grossen Ketten wie Migros oder Coop, denen viele Verarbeitungsbetriebe
gehören und die den Landwirt*innen unhaltbar tiefe Preise aufzwingen, so dass
diese noch stärker in die Abhängigkeit der Subventionen getrieben werden.
Hier kommt das zweite schützende Element für die Schweizer Landwirtschaft ins
Spiel: der Zollschutz gegenüber ausländischen Produkten. Um die Notwendigkeit
von Importzöllen zu verstehen, muss man sich bewusst sein, dass die Schweizer
Landwirtschaft zwar hauptsächlich für den Schweizer Markt produziert, der
Selbstversorgungsgrad aber unter 60% liegt. Es ist daher notwendig, die
Schweizer Landwirt*innen, die relativ strenge Kriterien erfüllen müssen, wenn
sie staatliche Subventionen erhalten wollen, vor den perversen Auswirkungen des
freien Marktes zu schützen.
Dies führt zu einem offensichtlichen Kostenunterschied: Produkte, die in der
Schweiz unter strengen Bedingungen hergestellt werden, werden auf dem Markt
teurer sein als solche, die anderswo ohne Kriterien zu viel tieferen Kosten
hergestellt werden. Deshalb sind die Importmengen bestimmter Produkte begrenzt
und es gibt Bestimmungen darüber, welche Standards erfüllt werden müssen, damit
Produkte importiert werden dürfen.
Druck durch Grossverteiler und Importindustrie
Diese Hebel müssen erhalten und ausgebaut werden, um das Überleben der Schweizer
Landwirtschaft zu sichern, solange wir uns noch im gewohnten kapitalistischen
Nationalstaatenkonstrukt befinden. Landwirt*innen stehen heute von zwei Seiten
unter Druck. Die erste ist die der grossen Vertriebsketten, die in einem
oligopolistischen[X] Markt agieren, niedrige Preise festlegen können und sich so
üppige Gewinne garantieren, wenn die Produkte nach der Verarbeitung
weiterverkauft werden. Die zweite ist der Import ausländischer Produkte, die
trotz der Zollbestimmungen eine unfaire Konkurrenz zu Schweizer Produkten
darstellen. Die Situation ist allgegenwärtig: Subventionen werden abgezweigt,
missbräuchlich niedrige Verkaufspreise werden von den Vertriebs- und
Verarbeitungsriesen kontrolliert, die sich ihre Margen sichern und gleichzeitig
von staatlichen Subventionen profitieren, und Produkte, die auf dem Schweizer
Markt keinen Anklang finden, werden in den Export gedrängt und schaden damit
ausländischen Märkten. Das alles ist ein Symbol für die Absurdität des Marktes
in der Landwirtschaft. Ein weiteres der vielen Beispiele für die Absurdität
dieses Systems ist der Wein: Ausländische Weine werden zu Preisen in die Schweiz
importiert, mit denen die inländische Produktion unmöglich mithalten kann (fast
40% der importierten Weine kosten weniger als 1,50 Schweizer Franken pro Liter).
In der Folge verlieren die Schweizer Weine erheblich an Marktanteilen und machen
nur noch 35% des Umsatzes aus[8]. Die Lösung, die den Weinproduzent*innen
derzeit vorgeschlagen wird, ist der Export.
Die JUSO Schweiz stellt deswegen folgende kurz- bis mittelfristige Forderungen
auf:
- Fünfjähriges Moratorium für Senkungen der Abnahmepreise zwischen
Landwirt*innen und den Grossverteilern / der weiterverarbeitenden
Industrie
- Entwicklung von Plattformen für den direkten Austausch zwischen
Produzent*innen und Konsument*innen
- Erhöhung der direkten Subventionen für kleinräumige regionale
Agrarstrukturen
- Verbot der Spekulation mit Nahrungsmitteln
- Staatliches Vorkaufsrecht bei Aufgabe von Höfen, falls Familienmitglieder
oder Angestellte den Hof nicht übernehmen möchten
- höhere Importzölle bei Produkten, welche durch zu günstige ausländische
Produktion im Preis nicht konkurrenzfähig sind
Die Effekte der Landwirtschaft auf Klima und Umwelt
Die Landwirtschaft ist heute verantwortlich für 14.2% der Treibhausgasemissionen
der Schweiz. Am stärksten (56%) tragen dazu die Emissionen bei, die aus der
Nutztierhaltung entstehen. Dazu kommen die Emissionen von Lachgas aus der
Nutzung von landwirtschaftlichen Böden, die Emissionen aus der Hofdüngerlagerung
und die Emissionen von Ammoniak durch unsachgemässes Düngen. Die Emissionen
haben sich seit 1990 um 10% reduziert, hauptsächlich aufgrund von tieferen
Rindviehbeständen und effizienteren Produktionsweisen.
Die Emissionen aus der Nutztierhaltung, insbesondere jene aus der Rindviehaltung
lassen sich nur begrenzt reduzieren, ohne die Bestände zu verringern. Deshalb
ist es unumgänglich, dass die Viehzucht und damit auch die Produktion tierischer
Erzeugnisse reduziert wird. Die Reduktion der Bestände soll dabei auch genutzt
werden, um den Tieren mehr Platz zu geben. Grundsätzlich müssen Veränderungen in
der Nutztierhaltung zum Wohl der Tiere sein. Daneben gibt es Massnahmen, um die
Emissionen in Zusammenhang mit der Fütterung zu verringern. Durch den Aufbau von
Humus kann Kohlenstoff gebunden werden und so zusätzliche Emissionen reduziert
werden. Eine weitere Massnahme ist das Stoppen der Überdüngung.
Diese Massnahmen, die die Emissionen der Landwirtschaft reduzieren können, sind
zwingend notwendig und müssen rasch erfolgen, um das Netto-Null-Ziel bis 2030
einzuhalten und die Pariser Klimaziele zu erreichen. Diese Massnahmen sind aber
mit Aufwand und Kosten verbunden und müssen von der Gesellschaft unterstützt
werden. Die Schaffung einer nachhaltigen und klimapositiven Landwirtschaft ist
Aufgabe der ganzen Gesellschaft. Nicht zuletzt profitiert davon auch die
Landwirtschaft, denn sie ist durch die klimatischen Veränderungen heute schon
direkt betroffen. Wasserknappheit und trockene Böden, häufiger auftretende
Extremwetterereignisse und die höhere Durchschnittstemperatur stellen die
heutige Produktion nämlich grundsätzlich in Frage. Die Hitzesommer der letzten
Jahre haben bereits gezeigt, wie stark die hiesige Landwirtschaft durch die
Klimakrise bedroht ist.
Die JUSO Schweiz stellt deswegen folgende kurzfristige Forderungen auf:
- Eine extensive Landwirtschaft[x] für den Humusaufbau
- Optimale Fütterung der Nutztiere und technische Mittel, um Emissionen zu
reduzieren
- Förderung einer Landwirtschaft, die auf die Klimakrise angepasst ist.
- Keine Steuergelder für die Absatzförderung tierischer Produkte
Förderung von nicht tierischen Produkten
Schädlicher Einsatz von Pestiziden und Bedrohung der Biodiversität
Seit Menschen Ackerbau betreiben, setzen sie Massnahmen ein, um die angebauten
Pflanzen vor Umwelteinflüssen zu schützen. Nur dank solcher Massnahmen konnte
und kann der Ackerbau die Menschheit mit Nahrung versorgen. Doch die Verwendung
von synthetischen Pestiziden gefährdet nicht nur die Biodiversität, sondern auch
die Gesundheit der Menschen. Ein Verbot von synthetischen Pestiziden ist deshalb
eine notwendige Massnahme, die jedoch nicht allein kommen darf. Auf der einen
Seite braucht es Unterstützung für die Landwirtschaft und auf der anderen muss
der Zugang zu gesunden und bezahlbaren Lebensmitteln für alle sichergestellt
sein. Dazu soll eventuell auch der Einsatz von Gentechnologien einen Beitrag
leisten können, jedoch nur nach ausgiebiger Forschung und Prüfung und nur in der
Hand der Öffentlichkeit. Der Einsatz von GMO darf ausserdem nicht dazu führen,
dass Bäuer*innen durch Lizenzen von Saatguthersteller*innen abhängig gemacht
werden.
Neben der Klimakrise droht auch eine Biodiversitätskrise: Das unwiderrufliche
Aussterben von Millionen von Tierarten in den nächsten Jahrzehnten. Dieser
Verlust wird ganze Ökosysteme zerstören und ungeahnte Auswirkungen auf der
ganzen Welt mit sich bringen. Nach den vergangenen 5 bekannten Massensterben
dauerte es Millionen Jahre, bis sich die Natur erholte. Dieses Artensterben wird
verursacht durch die Zerstörung der Lebensräume und das Einbringen von Giften in
die Natur. In Monokulturen kann die Artenvielfalt nicht gedeihen, es braucht
eine ökologische Landwirtschaft, die den Erhalt der Biodiversität als Ziel hat.
Dazu gehören auch Flächen, die nicht bewirtschaftet werden, um der Natur
genügend Raum zu geben.
Die Landwirtschaft hat bei Weitem nicht nur negative Auswirkungen auf die
Umwelt. Im Gegenteil: Die Landwirtschaft sorgt in vielen Gegenden für eine
enorme Biodiversität. Alpweiden mit ihrer enormen Artenvielfalt wären ohne die
oft harte Arbeit der Alpwirtschaft nicht vorhanden. Doch eine Landwirtschaft,
die der Biodiversität Sorge trägt, steht im Widerspruch zur Profitmaximierung
durch Monokulturen und Pestizideinsatz. Solange die Landwirtschaft dem Druck
durch Wettbewerb unterliegt, bleibt die nachhaltige Produktion eine Nische. Dass
genau die grösste Vertretung der Landwirtschaft, der Schweizer Bauernverband
(SBV), sich gegen jegliche fortschrittliche Gesetzgebung stellt, ist
enttäuschend. Die Agrarlobby, welche vor allem durch Grossbetriebe getrieben ist
und der SVP sowie auch der Partei «die Mitte» nahesteht, agiert offensichtlich
gegen die mittel- und langfristigen Interessen der Mehrheit der Landwirt*innen.
Die JUSO Schweiz stellt deswegen folgende kurzfristige Forderungen auf:
- Ein Verbot synthetischer Pestizide und Schutz der inländischen
Landwirtschaft durch gleiche Regeln für Importe
- Wenn die Gentechnik unter demokratischer Kontrolle steht, ist eine
Aufhebung des Moratoriums und Forschung dazu möglich, allerdings nur durch
die öffentliche Hand
- Förderung der Mischkulturen und Vergütung des damit verbundenen Aufwandes
- Ausweitung der nicht bewirtschafteten Flächen
Unsere Vision: Drei-Säulen-System einer solidarischen und sozialistischen
Landwirtschaft
Der heutige Zustand ist unbefriedigend. Auf der einen Seite gibt es staatliche
Subventionen, Direktzahlungen und andere Privilegien für die Landwirtschaft. Auf
der anderen Seite stehen grosse Detailhändler, die wegen der geringen Konkurrenz
durch andere Käufer*innen die Preise diktieren können (es herrscht ein
sogenanntes Oligopson). Das Ganze kostet viel, verursacht viel Bürokratie und
sichert trotz allem keine anständigen Bedingungen für die Landwirtschaft oder
demokratische Mitbestimmung. Wir brauchen eine Alternative zum heutigen System.
Die Ziele einer zukünftigen Landwirtschaft in der Schweiz sind klar: Wir wollen
ökologisch produzierte Nahrungsmittel und andere landwirtschaftliche Produkte.
Die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit diesen Produkten muss
sichergestellt sein und der Zugang dazu allen offen stehen. Gleichzeitig wollen
wir für die Beschäftigten in der Landwirtschaft gute Arbeitsbedingungen und
soziale Sicherheit. Diese Bedingungen sind im profitorientierten und
marktwirtschaftlich organisierten System von heute nicht zu erreichen. Dafür
braucht es eine sozialistische und demokratische Landwirtschaft.
Unsere Visionen einer sozialistischen und demokratischen Landwirtschaft steht
auf drei Säulen: Planung, Produktion & Vertrieb.
Zentrale Landwirtschaftliche Planung
Die landwirtschaftliche Produktion soll zentral geplant werden. Dies bedeutet,
dass eine zentrale, demokratisch kontrollierte Planungsinstanz basierend auf den
Bedürfnissen der vergangenen und Abschätzungen der kommenden Jahre definiert,
welche Produkte in der Landwirtschaft erzeugt werden sollen. Diese
Planungsinstanz muss die Interessen der Landwirtschaft in ihrer ganzen Vielfalt
sowie die der gesamten Bevölkerung vertreten und verteidigen. Die Aufträge aus
dieser Planung werden anschliessend gemäss den Möglichkeiten und Bedürfnissen
der Landwirt*innen und der landwirtschaftlichen Betrieben verteilt. Wer für
einen Auftrag produziert, hat eine Abnahmegarantie. Für die bestellten Produkte
werden Preise definiert, welche die kompletten Kosten der Produktion decken,
sodass darüber hinaus kaum noch Subventionen notwendig sind. Dabei werden die
verschiedenen Hintergrundfaktoren (wie geografische und klimatische Bedingungen,
Produktivität) beachtet, sodass es keinen zerstörerischen Preiskampf gibt.
Alternativ werden die Aufträge von staatlich beschäftigten Landwirt*innen
erfüllt (siehe Produktion und Beschäftigung).
In dieser zentralen Planung werden ausserdem mehrjährige Ziele definiert. Diese
betreffen beispielsweise die ökologischen Folgen der Produktion, also wie etwa
der Treibhausgasausstoss der Landwirtschaft reduziert werden soll. Auch
grundlegende Fragen wie der Selbstversorgungsgrad der Schweiz werden über die
zentrale Planung geklärt. Diese Form der Planung ermöglicht mehr demokratische
Mitbestimmung und einen deutlich effizienteren Einsatz der verfügbaren
Ressourcen und verhindert die heutige verschwenderische Überproduktion und
unnötige Konkurrenz.
Produktion und Beschäftigung
Produziert werden die landwirtschaftlichen Erzeugnisse weiterhin von
Landwirt*innen. Diese haben zukünftig zwei Möglichkeiten, ihr Einkommen zu
erzielen. Neu können sich Landwirt*innen und deren Mitarbeiter*innen nämlich
beim Staat anstellen lassen. Zu einem fairen Lohn arbeiten sie dabei auf ihrem
Hof an den zugeteilten Produktionsaufträgen. Ihr Einkommen ist unabhängig vom
Ertrag gesichert und sie haben die Möglichkeit, die gesetzlichen
Arbeitsbedingungen einzuhalten.
Statt beim Staat kann man auch weiterhin genossenschaftlich organisiert oder
selbstständig arbeiten (z.B. als Kleinbäuer*in). Auch in dieser Produktionsform
erhalten die Betriebe Aufträge vom Staat, die sie produzieren müssen – diese
müssen aber nicht die gesamte Produktionskapazität der Betriebe ausfüllen, wenn
sich die Genossenschaften / Kleinbäuer*innen dagegen entscheiden. Die Aufträge
der zentralen Produktion geben diesen Betrieben Sicherheit, denn sie sind durch
die fixen Preise und die Absatzgarantie anständig entgeltet. Die wirtschaftliche
Situation der Betriebe ist so gesichert. Gleichzeitig dürfen diese auch eine
eigene Produktion definieren und diese über andere Kanäle vertreiben. Klar ist,
dass an die nicht-staatlichen Produzent*innen über die Planung hohe soziale und
ökologische Ansprüche an Produktionsbedingungen gestellt werden müssen.
Landwirtschaftliche Flächen sollen ausserdem Schritt für Schritt in den Besitz
der Öffentlichkeit gebracht werden. Die öffentliche Hand würde diese Flächen
dann den Landwirt*innen im zinsfreien Nutzungsrecht wieder zur Verfügung
stellen. Bei der Abgabe im Nutzungsrecht muss natürlich beachtet werden, wer
zuvor auf diesem Land gelebt und gearbeitet hat.
Demokratischer Vertrieb
Die produzierten Güter müssen vom Landwirtschaftsbetrieb zu den Konsument*innen
oder zur weiterverarbeitenden Produktion kommen. Dieser Prozess wird heute zu
relevanten Teilen von den pseudodemokratischen Grossverteilern Migros und Coop
kontrolliert. Diese drücken seit Jahren die Preise, welche an die
Produzent*innen bezahlt werden müssen und kassieren dabei grosse Margen ein. In
unserer Vision sollte auch der Vertrieb von Produkten staatlich organisiert und
einer starken demokratischen Kontrolle unterstellt sein. Hier werden die zuvor
definierten Preise für Produkte an die Produzent*innen eingehalten, die
Abnahmegarantie umgesetzt, auf eine effiziente Verteilung der Produkte im ganzen
Land geachtet. Dabei wird auf gewisse regional unterschiedliche Präferenzen der
Konsument*innen und auf eine faire Verteilung der verschiedenen Produkte
Rücksicht genommen. Die Vertriebsstruktur plant zudem, welche Produkte in
welcher Menge aus dem Ausland importiert werden müssen. Damit die inländischen
Produkte nicht durch aufgrund tieferer Fixkosten aus dem Ausland importierte
Produkte konkurrenziert werden, werden Importzölle erhoben, wo dies nötig ist.
Ausserdem können Produkte unter dem Produktionspreis abgegeben werden. Damit
wird sichergestellt, dass alle Menschen Zugang zu gesunden und ökologischen
Nahrungsmitteln haben und dass auch arbeitsintensive, aber sinnvolle Produkte
hergestellt werden.
Die Landwirtschaft ist eine enorm wichtige Branche: Sie ist unabdingbar für die
Versorgung der Bevölkerung und befriedigt das Grundbedürfnis der Menschen nach
einer ausgewogenen Ernährung. Daneben übernimmt sie wichtige Aufgaben in den
Bereichen Umweltschutz und Landschaftspflege. Unsere sozialistische Vision einer
Landwirtschaft mit den drei genannten Pfeilern stellt sicher, dass weder
Menschen noch Natur ausgebeutet werden und wir die natürlichen Ressourcen
sorgfältig nutzen. Es ist an der Zeit für diesen Neustart!
[A] RTS, 40 ans d'évolution de l'agriculture suisse, 2019:
https://www.rts.ch/info/suisse/9826101-40-ans-devolution-de-lagriculture-
suisse.html#chap03
[B] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und
Landarbeiterinnen in Not, 2020
[C] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und
Landarbeiterinnen in Not, 2020
[D] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und
Landarbeiterinnen in Not, 2020
[E] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und
Landarbeiterinnen in Not, 2020
[F] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und
Landarbeiterinnen in Not, 2020
[G] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und
Landarbeiterinnen in Not, 2020
[1] Forney, Buxtorf, 2018
[2] Diese Zahl berücksichtigt nur die in der Landwirtschaft Beschäftigten und
nicht die selbständigen Landwirt*innen.
[H] Bopp, Affolter, Vom helvetischen Flüchtling bis zu neuen Formen
neokolonialer Knechtschaft in der Landwirtschaft: http://www.denknetz.ch/wp-
content/uploads/2017/07/Vom_helvetischen_Fluechtling_bis_zur_neukolonialen_Knech-
tschaft_in_der_Landwirtschaft.pdf
[3] Agristat, Statistik der Schweizer Landwirtschaft, 2021: https://www.sbv-
usp.ch/de/services/agristat-statistik-der-schweizer-landwirtschaft/
[4] Der Selbstversorgungsgrad gibt an, wieviel der inländischen Nachfrage nach
Nahrungsmittel durch Anbau und Produktion in der Schweiz gedeckt werden kann.
[5] Agrarbericht 2020, Selbstversorgungsgrad:
https://www.agrarbericht.ch/de/markt/marktentwicklungen/selbstversorgungsgrad
[6] Um diesem perversen System entgegenzuwirken, hatte die JUSO Schweiz die
«Spekulationsstopp-Initiative» lanciert.
[7] RTS, 40 ans d’évolution de l’agriculture suisse,
2019:https://www.rts.ch/info/suisse/9826101-40-ans-devolution-de-lagriculture-
suisse.html
[I] RTS, 40 ans d'évolution de l'agriculture suisse, 2019:
https://www.rts.ch/info/suisse/9826101-40-ans-devolution-de-lagriculture-
suisse.html#chap04
[J] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und
Landarbeiterinnen in Not, 2020
[K] Plattform für eine sozial nachhaltige Wirtschaft, Landarbeiter und
Landarbeiterinnen in Not, 2020
[X] Siehe Fussnote 9 auf Seite 6
[8] Uniterre, Manifeste des paysannes et paysans suisses pour un marché juste et
équitable, 2019: https://uniterre.ch/fr/thematiques/paysans-paysannes-mobilisez-
vous-manifeste-pour-un-marche-ju
[x] Extensive Landwirtschaft ist im Gegensatz zur intensiven Landwirtschaft
gekennzeichnet durch einen im Verhältnis zur Fläche geringen Kapital- und
Arbeitseinsatz (z. B. Düngemittel, Pestizide, Maschinen). Die pflanzlichen
Erträge pro Flächeneinheit sind in der extensiven Landwirtschaft geringer als in
der intensiven Landwirtschaft.
[9] In einem Oligopol beherrschen einige wenige Unternehmen den Markt und haben
dadurch einen grossen Einfluss auf die Preissetzung und die Produktionsweise.