Veranstaltung: | April-DV / AD d'avril |
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Antragsteller*in: | Geschäftsleitung JUSO Schweiz (beschlossen am: 17.03.2023) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 25.04.2023, 16:06 |
Ersetzt: | PDENEU34: Gestört, wahnsinnig, verrückt - und nicht allein. |
PDENEU35: Gestört, wahnsinnig, verrückt - und nicht allein.
Antragstext
Gestört, wahnsinnig, verrückt - und nicht
allein.
Psychische Erkrankungen ernstnehmen und entsprechend
(be)handeln!
Der Umgang mit psychischen Störungen ist eine der drängendsten und grössten
gesundheitspolitischen Fragen unserer Zeit. In der Schweiz sind 17% der
Bevölkerung von einer oder mehreren psychischen Störungen (auch psych.
Erkrankungen genannt) betroffen.(1),(2) Die Vielfalt von psychischen Störungen
ist gross und es gibt keine universelle Definition für diese. Zu den
meistverbreiteten und wohl bekanntesten Störungen gehören die verschiedenen
Arten von Depressionen, Essstörungen, Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen und
Angst- und Persönlichkeitsstörungen.(3) Die Psychiatrie kennt mit ICD-10 und
DSM‑5 etablierte Klassifikationsarten, um solche Störungen zu diagnostizieren.
Psychische Störungen werden in unserer Gesellschaft noch immer unterschätzt,
Betroffene werden systematisch stigmatisiert und diskriminiert. Die Folgen
dieses Zustandes sind verheerend. Unzureichende und unzugängliche
Behandlungsmöglichkeiten, die Ignoranz der Gesamtgesellschaft und die daraus
resultierenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen erzeugen einen Teufelskreis
für Betroffene. Dieser wird vom sozialen Umfeld oftmals nicht erkannt. Dies
führt kurz- und langfristig für Betroffene u.a. zu sozialer Isolation und
finanziellen Problemen und endet nicht selten tödlich. In der Schweiz sterben im
Schnitt täglich 2-3 Personen durch nicht-assistierten Suizid. Ausserdem ist dies
bei den 19- bis 34-Jährigen die häufigste Todesursache.(4) Suizidversuche
passieren meist aufgrund eines Zusammenspiels verschiedener Faktoren, wobei
psychische Erkrankungen zu den relevantesten gehören.
Psychisch erkranken können alle. Das Risiko dafür ist jedoch nicht bei allen
Menschen gleich gross. Diskriminierungserfahrungen lösen bei Betroffenen
überdurchschnittlich häufig psychische Erkrankungen aus. Gerade bei jungen
Frauen steigt die Anzahl der Neuerkrankungen besonders stark an.(5) Homo-,
bisexuelle und trans Jugendliche weisen laut einer Studie der Hochschule Luzern
ein fünfmal höheres Suizidrisiko auf als cis-hetero Teenager.[1] Zudem macht der
OBSAN-Bericht (2020) des Bundes “Migrationshintergrund” als grössten
Risikofaktor für den Ausbruch einer psychischen Störung aus.(6) Gründe dafür
sind u.a. Rassismuserfahrungen, schlechter Zugang zum Gesundheitssystem und
unbehandelte Traumata. Auch der Faktor “Armut” spielt bei der psychischen
Gesundheit eine relevante Rolle. Aufgrund der engen Verknüpfung und
gegenseitiger Begünstigung verschiedener Risikofaktoren wie soziale Ausgrenzung,
Mehrfachbelastungen und finanzielle Sorgen, erkranken überdurchschnittlich viele
Armutsbetroffene an Angststörungen und Depressionen.(7) Patriarchat,
Kapitalismus, die weisse Vorherrschaft und alle weiteren
Diskriminierungsstrukturen machen also krank oder vergrössern zumindest das
Risiko, an einer psychischen Störung zu erkranken. Auch der Leistungsdruck in
unserer Gesellschaft spielt eine massgebliche Rolle. Viele Menschen leiden
aufgrund des Produktivitäts- und Leistungswahns an Burnout. Auch Menschen, die
nicht am Produktionssystem teilnehmen, werden isoliert und stigmatisiert, was
ihre psychische Gesundheit stark beeinträchtigt.
Auch die Familie kann eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von psychischen
Störungen spielen. Ein dysfunktionales oder gar missbräuchliches Familienumfeld
begünstigt die Entwicklung von Störungen bei den Familienmitgliedern. Wichtig
ist dabei aber auch die Erkenntnis, dass viele psychische Störungen in
unterschiedlichem Ausmass vererbt werden, weshalb nicht alle psychische
Störungen einfach auf Lebensumstände zurückgeführt werden können.(8) Es wäre
also falsch zu sagen, dass psychische Störungen nicht mehr auftreten würden,
wenn die Welt frei von jeglichen Diskriminierungsstrukturen wäre.
Unser Gesundheitssystem ist krank
Die Corona-Krise hat bei vielen Betroffenen von psychischen Störungen zu einer
Verschlechterung ihres psychischen Gesundheitszustands geführt. Dies u.a.
aufgrund von sozialer Isolation, Krisensituationen (Jobverlust, Zukunftsängste
usw.) aber auch, weil Behandlungen in dieser Zeit nicht mehr im ursprünglichen
Rahmen gewährleistet werden konnten.(9) Nach einem Pandemiejahr konnte das
Bundesamt für Gesundheit (BAG) in einer Studie signifikante Veränderungen beim
persönlichen Wohlbefinden der Befragten feststellen. Jüngere Menschen sind davon
noch stärker betroffen als andere Altersgruppen.[2] Erkenntnisse zur psychischen
Situation von Jugendlichen in der Schweiz zeigt auch der Pro Juventute Corona-
Report auf: Das Hilfsangebot 147.ch verzeichnete einen Anstieg der
Kontaktaufnahmen um rund 40% im Vergleich zur Situation vor der Corona-
Pandemie.[3]
Die Coronakrise hat die enormen Lücken unseres profitorientierten
Gesundheitssystems noch einmal schonungsloser aufgedeckt. Die Profitinteressen
der Krankenkassen, privatisierten Spitälern und Kliniken und der Pharmaindustrie
stehen einem patient*innengerichteten Gesundheitswesen im Weg. Dazu kommt das
gescheiterte System der Fallpauschalen, in welchem physische und mechanische
Behandlungen mehr zählen als die psychische und geistige Auseinandersetzung mit
Patient*innen. Der Fokus wird so mehr und mehr auf die chirurgischen Tätigkeiten
der Kliniken gesetzt und an anderen Orten gespart. Zusätzlich werden die
Patient*innen in einen «Pauschaltopf» geworfen, in dem das Individuum aus den
Augen verloren geht und einfach die Diagnose entscheidet, wie lange eine
Behandlung zu dauern hat. Dies begünstigt wiederum, dass Patient*innen, zu
Gunsten der Klinikfinanzen eher zu früh nach Hause entlassen werden, als das
dies der Gesundheitszustand erlauben würde. Diese Geldgier und Versäumnisse in
der Erneuerung der Vergütung der Gesundheitsdienstleistungen kosten
Menschenleben.
Die Situation ist so prekär, dass eine fachgerechte Betreuung schlichtweg nicht
mehr gewährleistet werden kann. Dies bedeutet aufgrund des akuten
Personalmangels eine Häufung von Zwangsmassnahmen gegen Patient*innen. In den
letzten Jahren wurde systematisch abgebaut - Budgetstreichungen,
Stellenkürzungen und Schliessung von ganzen Stationen, obwohl die Anzahl an
Patient*innen noch immer steigend ist.(10)
Menschen mit psychischen Erkrankungen werden in unserer Gesellschaft
systematisch diskriminiert. “Psychische Gesundheit” ist eines der grössten
Tabuthemen unserer Gesellschaft. Grund dafür sind offenbar verschiedene
Befürchtungen: Beispielsweise haben viele depressive Personen Angst, als “nicht
mehr leistungsfähig” und als “labil und schwach” zu gelten.[4] Ausserdem schafft
die vorrherschende Sicht auf Menschen mit psychischen Erkrankungen zwei
Kategorien. So werden Menschen, die an einer psychischen Störung leiden,
entweder als verrückt oder als nur aufmerksamkeitssuchend abgestempelt. Aufgrund
dieser Stigmatisierung werden Verbreitungsgrad und Gefährlichkeit der
“Volkskrankheit Depression” enorm unterschätzt. Diese Stigmatisierung
verschleiert das tatsächliche Ausmass und die Verbreitung von psychischen
Erkrankungen und wirkt sich auf das Angebot in der Gesundheitsversorgung aus.
Bereits vor der Pandemie gab es zu wenige ambulante und stationäre
Behandlungsplätze - mittlerweile hat sich diese Problematik abermals enorm
verschärft und das mit fatalen Auswirkungen: In psychiatrischen Institutionen
wird triagiert(11), insbesondere in den Kinder- und Jugendpsychiatrien.(12)
Dieser erschwerte Zugang führt bei den meisten Betroffenen zu einer Verstärkung
ihrer Symptome und so zu einer Verlängerung der Behandlungszeit. Auch besteht
ein akuter Mangel an ambulanten Therapieplätzen. Folglich bleibt zehntausenden
Betroffenen eine angemessene Behandlung verwehrt. Mit dem neuen System von
SantéSuisse haben Anfang 2023 zusätzlich tausende ihren aktuellen Therapieplatz
verloren.(13)
Auf Stigmatisierung folgt Diskriminierung
Im kapitalistischen System sind Lohnabhängige dazu verdammt, normiert zu
funktionieren, damit ihre Arbeitskraft von der herrschenden Klasse optimal
ausgebeutet werden kann. Gerade auf jungen Menschen lastet vor und während der
Ausbildung ein enormer Druck.
Menschen, die aufgrund von Erkrankungen nicht mehr regulär arbeiten können,
sollen eigentlich mit Sozialhilfe und IV-Rente entsprechende Hilfe vom Staat
erhalten. Diese ist aber an klare, diskriminierende Bedingungen geknüpft. Das
Wort “invalid” (wertlos) in Invalidenrente deutet bereits an, wie die
Bezüger*innen im kapitalistischen System gewertet werden. Die Tatsache, dass
psychische Störungen meist unsichtbar sind, führt ausserdem dazu, dass
Hilfesuchende als untätig angesehen werden. Psychische Erkrankungen sind seit
Jahren mit Abstand der häufigste Grund für den Bezug einer IV-Rente in der
Schweiz. Um eine (Teil-)Rente der IV zu erhalten, muss bewiesen werden, dass
eine Erwerbsunfähigkeit von mindestens 40% vorliegt. Psychische Erkrankungen
sind allerdings im Gegensatz zu physischen Erkrankungen kaum mit Bildern oder
Ähnlichem beweisbar, da sie meist unsichtbar sind. Deswegen werden
psychiatrische Gutachten anhand von Gesprächen mit Fachpersonen erstellt. Die
Unabhängigkeit und dadurch die Qualität dieser Gutachten ist jedoch oftmals
nicht gewährleistet.(14) Menschen mit psychischen Störungen wird massiv
misstraut. So versucht die politische Rechte seit Jahren, das Anrecht auf IV-
Rente für Menschen mit psychischen Störungen komplett zu streichen.(15) Das IV-
System beruht auf dem Grundsatz der “Wiedereingliederung” in den Arbeitsmarkt,
was nicht grundsätzlich ein schlechtes Ziel ist, da die Selbstbestimmung der
betroffenen Menschen gestärkt werden kann - dabei kommt es allerdings auf die
Umsetzung und Absicht dahinter an. Das heutige IV-System orientiert sich kaum am
Wohlergehen der Menschen, sondern an jenem der kapitalistischen Marktwirtschaft
und der Tiefhaltung der Kosten. So heisst der Leitsatz der IV auch
“Wiedereingliederung vor Rente”, Rentenansprüche werden erst geprüft, nachdem
Wiedereingliederungsversuche nicht den gewünschten Erfolg hatten. Kranke
Personen werden regelrecht zur Arbeit gezwungen und müssen konstant Rechenschaft
und Beweise darlegen, wenn sie nicht dazu in der Lage sind.
Zusätzlich ist der Erfolg von Integrationsmassnahmen durchwachsen: So sind drei
Jahre nach Ende oder Abbruch einer Integrationsmassnahme 37 Prozent aller
Personen auf dem regulären Arbeitsmarkt und ohne IV-Rente. Die Erfolgsquote
variiert jedoch je nach Kanton stark, da sich die Profile der Menschen in einer
Integrationsmassnahme sowie die Umsetzung der Massnahmen je nach Kanton stark
unterscheiden.(22) In den Fällen, in denen die IV am Schluss trotzdem eine Rente
zahlt, ist diese oft deutlich geringer als Ergänzungsleistungen und somit unter
dem Existenzminimum, gerade wenn eine versicherte Person Beitragslücken aufweist
oder noch nie erwerbstätig war.
Psychisch Erkrankte erleben im Alltag in nahezu allen Lebensbereichen
Diskriminierung. Neben sozialer Ausgrenzung kommt es zu erschwerten Bedingungen
bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. Ein Aufenthalt in einer psychiatrischen
Klinik erscheint als negativ auffallende Lücke im Lebenslauf und eine längere
Krankschreibung in der Vergangenheit wird von Arbeitgebenden als Risiko
erachtet.
Menschen in akuten psychischen Notsituationen in der Schweiz im
gesamteuropäischen Vergleich überdurchschnittlich oft gegen ihren Willen
geschlossen platziert. Jede*r fünfte Psychiatrie-Patient*in wurde durch eine
sogenannte "fürsorgerische Unterbringung” (FU) zur Behandlung gezwungen.(16)
Teil solcher “Behandlungen” sind aufgrund von Personalmangel oftmals Fixierungen
und andere unmenschliche Praktiken. Wer solche Zwangseinweisungen anordnen kann,
ist kantonal unterschiedlich geregelt. Besonders problematisch ist, dass im
Kanton Zürich sämtliche praxisberechtigten Ärzt*innen und in der Mehrzahl der
Kantone sämtliche niedergelassenen Ärzt*innen, in beiden Fällen unabhängig ihrer
Fachrichtung, dazu befugt sind, eine FU anzuweisen. Solche Massnahmen stellen
einen massiven Eingriff in die Autonomie eines Individuums dar und sollten nur
als allerletztes Mittel und von einer kleinen Anzahl an Spezialist*innen mit der
dafür notwendigen Ausbildung und den entsprechenden Kompetenzen angeordnet
werden können. Zusätzlich muss die Rekursfrist auf die Dauer der Unterbringung
ausgeweitet werden und es dürfen der betroffenen Person keine Verfahrenskosten
auferlegt werden. Zwangsmassnahmen, wie Fixierungen, sollen entsprechend nur als
allerletzte Möglichkeit zum Schutz der Patient*innen eingesetzt werden und
sicher nicht, um das zu knapp bemessene Personal zu entlasten. Solche Methoden
haben leider auch in der Schweiz eine lange Tradition. Im letzten Jahrhundert
galt das Credo, die Gesellschaft und deren “gesunde Volkskörper” vor
“minderwertigen Menschen zu schützen”.(17) Die beginnende Aufarbeitung der
Schweizer Psychiatriegeschichte lässt dunkles erahnen. So wurden grossflächige,
unzulässige Medikamentenversuche an unwissenden Patient*innen aufgedeckt.(18)
Auch heute noch, im 21. Jahrhundert, scheint das Ersuchen von Behandlung in
psychiatrischen Institutionen verpönt, obwohl sich die gesellschaftlichen
Umstände bedeutend verändert haben. Grosse Teile der Bevölkerung haben Angst vor
einer stationären Behandlung und vor allem vor der gesellschaftlichen Ächtung
eines solchen Aufenthalts. Psychiatrien gelten auch heute noch als
“Irrenanstalten” - Orte für Gefährder*innen dieser Gesellschaft. Als solche
werden psychisch Kranke nämlich nicht selten in den Medien inszeniert. Durch
klischeebehaftete Medienberichterstattungen werden Menschen mit psychischen
Störungen oft mit Kriminalität assoziiert und der Grund von begangenen
Straftaten sofort an einer möglichen psychischen Störung festgemacht. Dies,
obwohl Menschen mit psychischen Störungen nicht häufiger straftätig werden als
Menschen ohne entsprechende Diagnose.(19) Diese Stigmatisierung wird auch beim
Umgang der Polizei mit psychisch Erkrankten sichtbar, obwohl dazu keine Daten
erhoben werden. Eine Recherche der deutschen Tageszeitung "taz" zeigt: die
Hälfte der Menschen, die 2009 bis 2017 in Deutschland von der Polizei ermordet
wurden, litt an einer psychischen Störung(20).
Eine Gesellschaft, die auf Unterdrückung, Ausgrenzung und Ausbeutung fundiert
und von multiplen Krisen geprägt ist, schadet den betroffenen Menschen
besonders. Für die JUSO ist klar: die Überwindung aller
Diskriminierungstrukturen könnte bei vielen Menschen die Risikofaktoren für
psychische Störungen massiv verringern. Da sich psychische Störungen
(Erkrankungen) und deren Folgen in ihren Arten, Formen und Ursprüngen stark
unterscheiden, bedeutet aber auch eine radikale Transformation der Gesellschaft
zugunsten der 99% nicht, dass psychische Erkrankungen nicht mehr existieren
werden. Das Leben wird nie für alle nur schön sein, doch wir können das
bestmögliche tun, um es schöner zu machen.
Das Warten darauf kostet Leben. Deshalb müssen auch im jetzigen System sofortige
Massnahmen ergriffen werden:
Einen sofortigen und massiven Ausbau von ambulanten,
stationären und teilstationären Therapieplätzen.
Der Staat und die Kantone müssen die finanziellen Mittel für den Ausbau von
Therapieplätzen massiv erhöhen. Therapeut*innen, die durch den Wechsel vom
Delegations- zum Anordnungsmodell die Therapiebewilligung verloren haben, sollen
diese wieder erhalten. Neue zusätzliche Hürden in der Therapiezulassung sollen
wieder gestrichen werden. Das allein reicht aber nicht. Eine
Ausbildungsoffensive für Fachpersonal und massive Verbesserungen der
Arbeitsbedingungen müssen in die Wege geleitet werden.
Komplette Kostendeckung von psychiatrisch-
psychologischen Therapieangeboten Gesundheit darf keine
Klassenfrage sein.
Alle Menschen haben ein Recht auf Behandlung. Deswegen müssen Therapieangebote
komplett von der Versicherung gedeckt werden. Die Grundversicherung schliesst im
Moment zu wenige Therapieformen ein; dieser Mangel muss behoben werden. Die
verschiedenen Versicherungsklassierungen gehören ganz aufgehoben, eine
Einheitskasse mit dem selben Angebot für alle muss her und das
Selbstbehaltsystem muss abgeschafft werden. Die Kasse muss solidarisch nach
Leistungskraft finanziert werden. Dafür sollen auch Einkünfte wie
Kapitaleinkommen zur Finanzierung verwendet werden.
Breite Präventions- und Entstigmatisierungskampagnen
auf allen Ebenen der Gesellschaft
Noch immer geistern falsche Vorstellungen und Vorurteile in der
Gesamtgesellschaft herum, wenn es um psychische Erkrankungen geht. Die
darausfolgende Stigmatisierung von Betroffenen führt zu Diskriminierung und
verhindert präventive Massnahmen grossflächig. In allen öffentlichen und
privatwirtschaftlichen Sektoren müssen entsprechende Schulungsangebote zum
Umgang und zur Erkennung von psychischen Erkrankungen etabliert werden.
Staatlich finanzierte und betriebene Help-Hotline für
Menschen in Akutsituationen
Niederschwellige und unverbindliche Hilfsangebote werden heute in der Schweiz
vor allem von der Dargebotenen Hand und Pro Juventute, die nur zu kleinen Teilen
von der öffentlichen Hand finanziert werden, betrieben. Diese Angebote sind
stark überlastet. Mehr Ressourcen sind dringend nötig, um Menschen in einer
akuten Notsituation die nötige Hilfe geben zu können. Es braucht ein komplett
staatlich finanziertes Angebot.
Medikamentenversorgung sicherstellen - Pharmaindustrie
verstaatlichen
Die medikamentöse Versorgungsknappheit ist eine logische Folge der
kapitalistischen Logik. Pharmakonzerne produzieren vorrangig die Medikamente,
die für sie am meisten rentieren.
Für uns ist klar: Gesundheit vor jedem Profit. Bereits seit Jahren gibt es
Engpässe bei der medikamentösen Versorgung, die nun ihren bisherigen
Höchststand erreicht hat. Dies betrifft insbesondere auch Menschen mit
psychischen Störungen stark, die aktuell wichtige Medikamente nur noch
eingeschränkt oder gar nicht mehr beziehen können. Um solche Szenarien in
Zukunft zu verhindern, muss die Pharmaindustrie von der öffentlichen Hand
übernommen werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass die effektivsten
Medikamente produziert werden und dabei auch erschwinglich sind. Dies hat
folglich auch positive Auswirkungen auf die Forschung.
Forschung zu Ursprüngen und Behandlung vorantreiben
Noch immer weiss die Forschung viel zu wenig über den Ursprung von psychischen
Störungen und deren Behandlung. Forschungsgelder müssen deshalb massiv erhöht
werden, und zwar nicht zugunsten der privaten Pharmaindustrie. Nur so kann
gewährleistet werden, dass die effizientesten Behandlungsarten etabliert werden
und nicht die, welche am längsten eingenommen werden müssen und folglich nach
Marktlogik am meisten rentieren.
25h-Woche bei gleichbleibendem Lohn
Erschöpfungsdepressionen nehmen in der Schweizer Bevölkerung stark zu. Der Druck
am Arbeitsplatz verschlechtert die Situation von Menschen mit psychischen
Störungen zudem generell. Eine massive Arbeitszeitreduktion ist also von
dringender Notwendigkeit, um Risikofaktoren für psychische Erkrankungen
einzudämmen. Die JUSO fordert deshalb eine Arbeitszeitreduktion auf 25 Stunden
bei gleichbleibendem Lohn.
Darüber hinaus hat neben der offiziellen Länge der Arbeitswoche auch die
Fragmentierung der Arbeitswelt einen großen Einfluss auf die psychische
Gesundheit. Damit ist die Verpflichtung der Arbeiter*innen gemeint, ständig
verfügbar und erreichbar zu sein, auch außerhalb der Arbeitszeit. Vor dem
Hintergrund der Fragmentierung der Arbeitswelt durch die Einführung von
Smartphones und die Entwicklung des Web 2.0 hat sich das "Recht auf Abschalten"
zu einer wichtigen zivilgesellschaftlichen Forderung entwickelt. Derzeit wird
kein solches Recht durch das Arbeitsrecht garantiert. Die Verkürzung der
Arbeitszeit muss mit einem wirksamen Recht zum Abschalten einhergehen.
Totalrevision von IV-Renten und Sozialhilfesystem
Fussnoten
(1) Über die Verwendung der Begrifflichkeit “psychische Erkrankung”
gegenüber “psychische Störung” herrscht Uneinigkeit. Vor- und Nachteile
sind bei beiden Begrifflichkeiten vorhanden.
(11) Triagieren bedeutet, dass Patient*innen aufgrund von Platzmangel nach genau
definierten Kriterien priorisiert werden. Die nicht-priorisierten Patient*innen
müssen also auf eine Behandlung zu späterem Zeitpunkt hoffen.
Quellen
[1] Von Moos, David: Luzern kämpft gegen hohe Selbstmordrate unter LGBT-
Jugendlichen, in: Luzerner Zeitung (07.03.2020),
[https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/luzerner-kaempft-gegen-
hohe-selbstmordrate-unter-lgbt-jugendlichen-ld.1200509], Zugriff am: 28.01.2022.
[2] Stocker, Desirée (et al.): Der Einfluss der COVID-Pandemie auf die
psychische Gesundheit der Schweizer Bevölkerung und die psychisch-
psychotherapeutische Versorgung der Schweiz. Schlussbericht, im Auftrag des BAG,
Sektion Nationale Gesundheitspolitik, Bern 2021, S. VII.
[3] Pro Juventute Schweiz: Pro Juventute Corona-Report. Auswirkungen der COVID-
19-Pandemie auf Kinder, Jugendliche und ihre Familien in der Schweiz, Zürich
2021, S. 3.
[4] Bühler, Gordon (et al.): Wie geht es dir? Ein psychisches Stimmungsbild der
Schweiz, im Auftrag von: Pro Mente Sana, Zürich 2018, S. 20.
Änderungsanträge
- A4-011-DE (Elisabetta Marchesini (JS Genève), Eingereicht)
- A4-170-DE (Lucien Schwed (JS Genève), Eingereicht)
- A4-249-DE (Aitor Meyer (JS Jura), Eingereicht)
- PDE-001 (JUSO Kanton Zürich (beschlossen am: 03.04.2023), Eingereicht)
- PDE-069 (Cybel Dickson (JUSO Aargau), Dima Kukalj (JUSO Aargau), Elias Erne (JUSO Aargau), Melanie Del Fabro (JUSO Aargau), Levin Freudenthaler (JUSO Zug), Zoe Sutter (JUSO Aargau), Eingereicht)
- PDE-089-3 (Cybel Dickson (JUSO Aargau), Dima Kukalj (JUSO Aargau), Elias Erne (JUSO Aargau), Melanie Del Fabro (JUSO Aargau), Levin Freudenthaler (JUSO Zug), Zoe Sutter (JUSO Aargau), Eingereicht)
- PDE-132-2 (Cybel Dickson (JUSO Aargau), Dima Kukalj (JUSO Aargau), Elias Erne (JUSO Aargau), Melanie Del Fabro (JUSO Aargau), Levin Freudenthaler (JUSO Zug), Zoe Sutter (JUSO Aargau), Eingereicht)
- PDE-134 (JUSO Kanton Zürich (beschlossen am: 03.04.2023), Eingereicht)
- PDE-200 (JUSO St. Gallen (beschlossen am: 05.04.2023), Eingereicht)